Hinterlandgang: "Viele Ostdeutsche fühlen sich als Verlierer" – laut.de – Interview

2022-12-02 19:51:26 By : Ms. Alina Wang

Schon mit ihrem Crewnamen repräsentieren Albert und Pablo das Hinterland. Dabei wollen sie eigentlich weder das Ost- noch das Dorfklischee allzu doll raushängen lassen. Ein Gespräch über die Probleme, aber auch das Potenzial der Provinz, außerdem über die Vorbildfunktion von Feine Sahne Fischfilet und Haftbefehl, über stereotype Rollenbilder, Kampfsport, Lernprozesse und gekränkte Gefühle.

Packend, aber auch ein bisschen befremdlich, so wirkte "Maschendraht" zunächst auf mich. "Wird wohl ein Debütalbum sein", dachte ich, da ich von den Urhebern, einem Duo mit sprechendem Namen, zuvor noch nie gehört hatte. Eine kurze Recherche später, bin ich schlauer und dümmer zugleich: Die Diskografie der Hinterlandgang ist schon um Einiges länger, trotzdem sprechen sie auch selbst von "Maschendraht" als ihrem Debüt. Was ist da los?

Überhaupt möchte man die beiden Jungs aus dem äußersten Nordosten des Landes gern vielerlei fragen. Wie es sich lebt, in einer abgehängten Region, zum Beispiel. Wie sich Lokalpatriotismus und Heimatliebe mit entschieden linker Positionierung vertragen. Ob die Darstellung stimmt, die Testo mit "Nullerjahre" publik gemacht hat, und wie das bei ihnen so war, mit den Rollenvorbildern ... Praktischerweise sind Albert und Pablo erreichbar. Zumindest einer der beiden:

Albert: Pablo ist noch krankgeschrieben. Es könnte sein, dass er im Laufe des Interviews reinkommt. Aber vielleicht auch einfach nicht.

Okay. Wenn, dann cool. Wenn nicht, kriegen wir das wahrscheinlich auch alleine hin. Ihr habt inzwischen ja ein bisschen Interview-Routine gesammelt.

Och, ja. Ein bisschen mehr, auf jeden Fall. Es ist immer noch sehr aufregend. Aber am Anfang war das immer so: Wer macht das jetzt? Wir müssen das unbedingt zu zweit machen! Jetzt hatten wir aber ein paar Termine, bei denen wir uns abgewechselt haben. Weil wir ja auch beide arbeiten gehen und es so teilweise wesentlich einfacher war.

Beim ersten Kontakt hatte ich mit eurem Album "Maschendraht" ein bisschen gefremdelt. Da steckte so viel Lokalpatriotismus und Heimatliebe drin, und dann kommt es noch aus dem Osten ... Das ließe sich leicht von den falschen Leuten vereinnahmen. Seid ihr euch dieses Problems bewusst?

Ich find' erstmal super-superinteressant, dass du genau das ansprichst. Wir haben darüber schon ein paar Mal gesprochen und denken darüber auch nach. Gerade im Zuge dessen, dass das Album jetzt bei Audiolith rausgekommen ist, die ja in vielen Bereichen sehr sensibilisiert sind. Wir haben bestimmte Zeilen, die man jetzt auf dem Album nicht mehr hört, teilweise rausgenommen, umgeändert oder bestimmte andere Zeilen eingebaut. Ich glaube, dass wir mit Hinterlandgang auf jeden Fall sehr, sehr klar zeigen, dass wir ... (unterbricht sich) Ich würd' zum Beispiel nicht von mir selbst sagen, dass ich ein Lokalpatriot bin, oder wie auch immer. Dass ich meine Heimat liebe, würd' ich auch nicht sagen. Aber mir ist schon bewusst, dass es auch solche Menschen ansprechen kann, die das von sich sagen würden. Aber ich glaube, dass wir mit Hinterlandgang trotzdem 'ne ganz klare Linie fahren und Leute das auch sehen, durch unsere Einstellung und durch die Musik. Dass wir einfach 'ne linke Position haben und uns sehr klar positionieren gegen all das, was Lokalpatriotismus und Heimatliebe so mit sich bringen KÖNNEN, zum Beispiel Fremdenfeindlichkeit oder was auch immer, sich über andere zu stellen. Deshalb finde ich tatsächlich nicht, dass es so ein großes Problem ist.

Ich find' eher schwierig, was wir von Audiolith gehört haben, und das hören wir öfter, gerade bei dem ersten Song "Schaumkronen", "aus dem Tollense-Tal raus in die Welt". Es war immer wieder Thema, auch gerade mit diesen Stimmen: 'Kuck' mal, es könnte ja, gerade im Osten ...' (unterbricht sich) Die Leute sagen: 'Gerade im Osten!' Das find' ich schon sehr schwierig. 'Das könnte ja rechte Strukturen, völkische Siedler im schlimmsten Fall, ansprechen ...' Ich finds deswegen schwierig, weil das im Rap, im Hip Hop sowieso, die allernormalste Sache ist, dass man seine Herkunft representet. Das ist das Normalste für uns. Das machen so ziemlich alle Rapper und Rapperinnen in Großstädten. Gerade wenn man aus strukturschwachen Regionen kommt, ist dieses Representen auch wichtig und ein ganz großer Teil von Rap. Wenn man eine Region oder ein Viertel, einen Stadtteil auf die Karte setzen möchte, der nicht sowieso schon auf der Karte ist. Zum Beispiel müsste ich jetzt nicht darüber rappen: 'Ich komme aus ...' ich sag' jetzt mal 'ne reiche Stadt, oder eine, die ich mir als reich vorstelle ... 'München, Villenviertel. Kuck' mal, wie geil ich bin.' Sondern es geht ja immer darum, die Gegend von sich nach außen zu bringen, die die Menschen gar nicht auf der Karte haben. Oder wenn, dann nur mit negativen Dingen behaftet. Als strukturschwach oder was auch immer.

Ich finds gut und wichtig, auch mit Stolz sagen zu können ... (unterbricht sich wieder) 'Stolz', das ist auch wieder so ein komischer Begriff ... vielleicht mit Kraft und Mut sagen zu können: 'Ich komme aus Vorpommern.' Oder: 'Ich komme aus dem Nordosten.' Man muss dazu einfach wissen, es für viele Generationen - vor uns, in unserer Generation mittlerweile sehr viel weniger, würde ich sagen - nichts war, was man gesagt hat, was man cool findet, wozu man auch stehen, womit man sich identifizieren kann. Weil gerade Vorpommern, der Osten, Mecklenburg-Vorpommern als abgehängt, langweilig, nichtssagend gegolten hat. Das ist einfach so. Es gibt einfach Menschen ... Kuck' ma', alle möglichen Rapper sagen gerne: 'Ich komm' aus Hamburg.' 'Ich komm' aus da-und-da', keine Ahnung, 'aus St. Pauli.' Aber wer sagt schon gerne: 'Ich komm' aus Vorpommern?' Wen juckts? Beziehungsweise, wenns jemanden juckt: Wieso sagt der 'Ich komm' aus Vorpommern'? Ist der irgendwie rechts? Wie kann man sowas sagen? Was man sich bei ganz vielen anderen Regionen niemals fragen würde. Niemals!

Das lokalpatriotische Thema kann man natürlich immer auffahren. Aber ich hab' das Gefühl, dass das bei uns besonders doll immer wieder angesprochen wird. Ich glaube, das ist auch der Grund dafür, dass wir uns besonders doll gegen rechte Strukturen positionieren, erstens in der Musik, und zweitens hier vor Ort. Dass wir Dinge machen, bei denen allen klar ist, dass wir keine rechten Leute oder was auch immer sind. Zum Beispiel machen wir so ein Open-Air, haben wir letztes Jahr gemacht, das 100-Tage-Sommer-Open Air. Da haben wir zum Beispiel Zugezogen Maskulin eingeladen. Wir versuchen da aber auch immer, Künstler und Künstlerinnen einzuladen, die irgendwie 'ne linke Position haben, bei denen wir wissen, die sind auch politisch gut drauf, und die das trotzdem vielleicht auch nicht so megaaufdringlich rüberbringen. So, dass alle möglichen Leute aus der Gegend sich angesprochen fühlen, gerne zu den Konzerten gehen und dann einfach was mitnehmen.

Ich finds auch interessant und wichtig, damit vielleicht auch 'n bisschen zu spielen. Es ist für mich immer noch eine Form der Kunst. Pablo und Albert, ich hab' das Gefühl, dass bei uns auch immer besonders doll auf Authentizität geachtet wird. Weil wir auch unsere Themen authentisch rüberbringen, weil es einfach UNSERE Themen sind. Aber trotzdem ist Musik einfach 'ne Kunst, und ich mags auch gerne, Sachen zu übertreiben und zu überspitzen. Es ist nicht so, dass ich durch die Gegend laufe, 'Hach, Vorpommern ist doch wirklich das Schönste auf der ganzen Welt! Ich liebe es hier so sehr!' Sondern wir setzen uns einfach viel mit unserer Umgebung auseinander. Darum kommt es immer wieder in unserer Musik vor. Auch die Beschreibung von unserer Gegend. Das kann einfach in einem Moment eine sehr, sehr schöne Beschreibung sein, wo wir voller Kraft sagen, dass wir von hier kommen und dass wir es lieben. Und es kann im nächsten Moment auch anders sein. In viel, viel mehr Songs beschreiben wir eher, dass es hier sehr verloren ist, oder strukturschwach oder langweilig oder grau, was auch immer.

Jetzt hab' ich megaviel gelabert, ich hoffe, ich konnte das so ein bisschen beantworten. Kannst du das verstehen? Dass das hart ist, für uns? Was heißt, 'hart', dass das immer wieder ein Thema sein wird? Lokalpatrioten, oh mein Gott, vom Dorf! Ausm Osten!! Aber es würde keine Sau interessieren, wenn wir aus Stuttgart kommen würden. Oder St. Pauli, da wüssten alle: St. Pauli, das ist ja links. Weiß ja jeder: St. Pauli is' links. Du kannst tausendmal sagen: 'Ich komm' aus St. Pauli.' Ja, cool! Der kommt aus St. Pauli! Geil.

Ich versteh' voll, dass es wahrscheinlich nervt, sich für etwas rechtfertigen zu müssen, das anderswo vollkommen normal ist. Aber verstehst du auch den Reflex, den man erstmal hat? Es ist ja auch nicht nur dieser ... ich nenn' es jetzt trotzdem mal "Lokalpatriotismus", dieses Herkunfts-Ding. Da kommen ja auch noch so Sachen wie "MV ist Kampfsport" dazu, "Hockstrecksprünge", das hat alles so eine hyper-maskuline Männerbund-Ästhetik, bei der ich mir auch vorstellen kann, dass sie rechten Kreisen Berührungspunkte bietet.

Ja. Auf jeden Fall. Das glaub' ich auch, da stimme ich dir zu. Vor allem so ein Song wie "Vorpommern bleibt Kampfsport": Auf unseren Konzerten merken wir, dass alle Leute, ob links, ob rechts, wahrscheinlich vor allem Männer, aber dass alle diese Songs cool finden und das mitrufen. Auch Leute, die gar nicht aus Vorpommern kommen. Dass gewisse Kreise, Hooligans, vor allem Fußball-affin, Männerbünde, sich gegenseitig schlagen, andere Gruppen dominieren wollen, Kampfsport, Kampf ... auf jeden Fall: Menschen, die das anspricht, die spricht der Song auch an. Das ist so. Das ist auf jeden Fall so. In dem Song gibts ja zum Beispiel so 'ne Line von Pablo, "Faschos an der Tanke, doch unsere Gang ist die Antwort", wo wir das Thema trotzdem ein bisschen aufgreifen, ohne jetzt so ... weißt du: Was wir schon immer versucht haben, war, nicht mit so 'nem erhobenen Zeigefinger zu sagen: 'Kuck' mal, rechts, rechte Menschen, die sind total doof, und Männerbünde, das ist auch doof! Lass' das doch mal.' Das ist in unseren Köpfen schon drin, wenn auch vielleicht nicht immer. Aber wir wollen das nicht so gerne mit so 'nem erhobenen Zeigefinger sagen. Weil: Das find' ich langweilig. Das find' ich künstlerisch uninteressant.

Ich hör' mir auch nicht gerne Musik an, wo Leute so 'ne Predigt halten oder so. Was ja gerade bei so linkem Rap teilweise stattfindet. Weil ich das künstlerisch einfach nicht interessant finde. Nur auf der künstlerischen Ebene, nicht auf der politischen. So ein Song wie "Vorpommern bleibt Kampfsport" spricht genau solche Leute an, ja. Aber vielleicht ist es ja auch geil, dass der Song solche Leute anspricht und wir trotzdem mit unserer Außenwahrnehmung, mit verschiedenen Lines auch, in dem Song, sehr klar gegen rechte Strukturen und gegen Faschos und das alles stehen. Ich finds eigentlich eher cool, dass man auch solche Leute dadurch anspricht.

Aber was wir auch sagen müssen: Als wir den Song geschrieben haben, haben wir uns über das alles null Gedanken gemacht. Wir haben ihn einfach geschrieben und fanden das halt cool. Aber dieses "Vorpommern bleibt Kampfsport", das ist ja die nächste Sache: Es gibt so viele künstlerische Ebenen, wie wir, Pablo und ich, als Künstler Songs oder Texte schreiben, was wir meinen und wie Leute das auffassen. Zum Beispiel, "Vorpommern bleibt Kampfsport", das war für uns von Anfang an klar, dass das nicht bedeutet: Woah, Vorpommern! Woah, einem auf die Schnauze hauen! Pablo ist Boxer. Er ist auch Landesmeister im Boxen geworden, in Mecklenburg-Vorpommern, vor ein paar Jahren. Er boxt mittlerweile nicht mehr aktiv im Sportclub, er macht es nur noch für sich gerne. Das heißt, es sind schon Berührungspunkte da zum Kampfsport. Aber trotzdem: Es geht nicht um den Kampfsport an sich. Es geht eigentlich darum, dass Vorpommern, diese Gegend, wenn man hier was reißen will, wenn man sich auch gegen Faschos und das alles gerade machen will, dann wird das immer 'ne Anstrengung bleiben. Es wird nicht aufhören! Wenn man beim Kampfsport mitmacht, dann hört der Trainingsteil, der Durchhalte-Teil, ja nicht auf. Weil man ja immer weitermacht und trainiert und es immer anstrengend bleiben wird. Es macht auch Spaß und alles, aber es wird immer anstrengend bleiben, und es wird auch ein Kampf bleiben, auf 'ne gewisse Art und Weise. Das war eigentlich, was wir damit verbinden, und gerade auf Konzerten kommunizieren wir das auch so.

Als eine Art trojanisches Pferd, um gerade die problematischen Gruppen anzusprechen und dann von innen heraus auszuhöhlen, war es also nicht gedacht?

Nee. Das wär' jetzt gelogen, wenn ich sagen würde: ja. Das war nicht so. Wir hatten einfach Lust auf diesen Song und hatten uns, bevor wir bei Audiolith waren, noch nicht so krass Gedanken darüber gemacht haben, wie der Text irgendwo ankommt. Das kommt jetzt langsam, das find' ich auch sehr, sehr, sehr, sehr wichtig, gerade, was sexualisierte Texte mit sich bringen: Was will man wirklich sagen? Was will man kommunizieren? Das haben wir jetzt eigentlich erst so richtig gelernt. Oder angefangen, uns darüber Gedanken zu machen: Wie kommen unsere Texte eigentlich an? Wie kann man das auffassen? Aber ich find' auch wichtig, sich nicht zu sehr zu beschneiden oder zu beschränken, in der Kunst. "Vorpommern bleibt Kampfsport": Klar, das ist ein gewalttätiges Bild. Erstmal: Vorpommern. Irgendeine Region, lokal. Dann: Kampfsport. Natürlich! Aber es geht ja auch oft um Gefühle, die man da reinpackt. Dieses Sich-als-Gruppe-Zusammentun, das sind auch Gefühle, die Pablo und ich in uns haben und die auch ganz viele andere Menschen ansprechen, die die auch haben, nicht nur Männer. Sich so zusammenzutun, so ein Wir-Gefühl zu haben: Ich glaube, dass das generell immer Leute anspricht.

... und, es ist total abgefahren: Es gibt auch Faschos, die hören Feine Sahne Fischfilet! Ich weiß nicht, wie man sich noch klarer links positionieren kann als Feine Sahne Fischfilet! Weißt du, wenn ich jetzt will, dass niemals wieder irgendein Mensch mit einer rechten Gesinnung unsere Musik hört: Ich glaube, dass es dann sehr, sehr, sehr, sehr schwierig wird. Vielleicht auch langweilig. Auch bei "3. Oktober", zum Beispiel, da gibt es diese Line, in der ich sage: 'Wir werden links oder rechts, weil es hier sonst keine Szene gibt.' Ursprünglich hieß es: 'Sie werden links oder rechts', also mehr aus einer beobachtenden Perspektive. Weil wir uns da selber nicht so mit reinholen wollten, weil wir nicht sagen wollten: 'Wir werden rechts', im Endeffekt. 'Wir könnten auch rechts werden.' Ich finds aber künstlerisch viel, viel, viel, viel unmittelbarer und viel, viel zuschlagender, wenn man als Hörer von einer Person hört: 'Wir werden links oder rechts.' Dass da die Person selber sagt: 'Ich hätte so werden können, ich hätte aber auch so werden können, je, nachdem, mit welchem Umfeld man sich ab einer bestimmten Zeit der Jugend einfach umgibt.' Wo man halt so reinschlittert, wo die anderen Freunde sind. Das find' ich viel unmittelbarer und interessanter. Weißt du, was ich meine?

War das bei euch so? Habt ihr irgendwann festgestellt: Es gibt das linke Lager und es gibt das rechte Lager, und man hatte das Gefühl, sich entscheiden zu müssen?

Dieses Gefühl, dass es Menschen und Freunde gibt, die einfach - ich nenns jetzt mal, wie du gesagt hast - in dieses rechte Lager hineinrutschen, und welche, die ins linke Lager hineinrutschen: Das gabs auf jeden Fall. Es war bei Pablo und mir so: Als wir so zwölf, 13 waren, wars auch normal, mal so Landser-Songs zu hören, oder so. Das war, was viele andere gehört haben. Gar nicht mal, dass das so Hardcore-Nazis waren, auch wenn man so 'ne Hardcore-Nazi-Musik hört. Wir haben da auch teilweise 'n paar Songs gehört. Aber ich würde sagen: Pablo und ich standen nie vor einer Entscheidung, weil wir von unseren Elternhäusern her einfach sehr links sozialisiert und geprägt sind. Für uns war schon immer klar, dass wir keine Faschos werden und mit dem Gedankengut gar nichts anfangen können. Ich kann damit einfach gar nichts anfange! Als ich so 15 war, bin ich nach Greifswald gezogen. ich weiß nicht, ob du das kennst?

Ich weiß gerade mal, wo das liegt.

Greifswald ist eine sehr kleine Stadt, aber sehr studentisch geprägt. Das heißt, es gibt 'n paar linke Zentren, alternative Jugendzentren. Ich war ziemlich früh in meiner Jugend in Greifswald und wurde da sozialisiert. Pablo ist länger in Demmin geblieben. Demmin ist eine andere kleine Stadt, wo sehr, sehr wenig los ist, da gibts auch keine Uni oder irgendwas in der Richtung, keine Hochschule. Da ist dieses Rechts-Links-Thema ein viel, viel größeres. Ich glaube, bei uns, das kommt auch immer wieder in unseren Texten vor, dass wir einfach durch Feine Sahne Fischfilet geprägt sind. Als wir so zwölf, 13 waren, 14 vielleicht, war das die Phase, als Feine Sahne Fischfilet für unsere Verhältnisse ziemlich groß geworden sind. Das hat ganz, ganz viele junge Menschen abgeholt. Da hab' ich so das Gefühl gehabt, dass sich so richtig, richtig was tut. Dass richtig vielen jungen Leuten erst bewusst wurde, dass sie links sind. Oder dass sie links sein wollen. Dass sie Feine Sahne Fischfilet so ein bisschen als Vorbilder sehen, als Identifikationsfiguren, irgendwie, die die jungen Leute abholen. Da hab' ich das richtig gemerkt, da hat sich das so richtig manifestiert: Wer zum Beispiel Feine Sahne hört, wer nach Jarmen geht, auf das Festival von denen, und wers nicht macht, und wer weiter irgendwas anderes hört. Konnte ich das gerade beantworten? Es war auf jeden Fall so, dass es in unserer Umgebung während unserer Schulzeit Jugendliche gab, die irgendeine rechte Scheiße gelabert haben, irgendwelche richtig ... ich weiß nicht, ob man es "Rechtsradikale" nennen kann. Ich will nicht mit so einem Begriff um mich werfen, weil ich gar nicht genau weiß, wie der definiert wird. Aber Leute, die auf jeden Fall aus Fascho-Familien kommen und die einfach so sozialisiert sind. Das ist bei Pablo und mir aber nicht der Fall.

Ihr habt in mehreren Interviews, weil es eben ein sehr ähnliches Thema beackert, "Nullerjahre", das Buch von Testo erwähnt.

Ich habs tatsächlich nicht gelesen. Pablo hat es gelesen, und wir haben inzwischen so viel darüber geredet, dass ich, glaube ich, weiß, worum es geht.

Er ist gut zehn Jahre älter als ihr, aber er hat es so dargestellt, dass in seiner Jugend diese Fascho-Ästhetik für ihn und seine Altersgenossen auch deswegen so attraktiv war, weil es das war, das als cool galt.

Ja, es ist einfach das, was als dominant galt. Ich würde sagen, bei ihm wars noch viel, viel, viel, viel krasser, aber auch bei uns war es schon so: Pablo und ich als junge Männer, als Jugendliche mit so 14, 15, haben das auf jeden Fall ein Stück weit als Identifikation gesehen. Dieses Maskuline, die Ausstrahlung, Kraft, Durchhaltevermögen, was man dem so zuspricht - oder zumindest, was WIR dem zugesprochen haben. Macht vielleicht auch. Einfach so die harten Typen. Das waren tendenziell immer eher die Rechten, die Faschos. Weil die mehr mit dieser Gewalt und dieser Dominanz spielen, mit ihrer Ideologie einfach schon. Das war bei uns einfach so, dass die Linken und auch AJZs und so immer eher so als schwach und weich galten. Ich denke auch, dass das bis heute irgendwie in meinem Kopf ein bisschen drin ist: In den AJZs, da sammeln sich so die ganzen ... (unterbricht sich) Ich überspitz' jetzt gerade extra mit meinen Worten, ne? Da sammeln sich halt immer eher so Alternative, vielleicht auch 'n paar Hippies, Punks ... das ist, wenn man jetzt diesen körperlichen Vergleich hat, diesen Dominanzvergleich, eher ein Sammelbecken für die, die sich halt nicht so richtig durchsetzen können, gegen die anderen Strukturen. Und das, wo wir beim Thema Identifikationspersonen sind, wurde einfach sehr aufgebrochen durch Feine Sahne Fischfilet. In unserer Wahrnehmung. Man muss dazusagen, dass das alles 'ne jugendliche Wahrnehmung war, die natürlich komplett verzerrt war, die aber trotzdem, glaub ich, bis heute teilweise unser Denken mitbestimmt und mitprägt. Auch wenn wir uns jetzt ganz aktiv damit auseinandersetzen.

Ich weiß nicht mehr, ob du es gesagt hast oder Pablo: Einer von euch beiden meinte im Backspin-Podcast, er hätte sich gewünscht, auch andere männliche Vorbilder zu haben als dieses stereotype "Ein Junge weint nicht", "Ein Junge muss stark sein", "Ein Junge muss hart sein". Glaubst du, dass sich dahingehend gerade was tut?

Das hat Pablo gesagt, ich bin da aber genau bei ihm. Was ich gerade davor gesagt habe, die Vorbilder, die einen gelten als schwach und weich, das ist natürlich, ich sags noch einmal ganz explizit, eine Wahrnehmung, die wir als Jugendliche hatten. Nicht, was ich jetzt gerade noch denke. Damals haben wir es, glaub' ich, gar nicht gecheckt. Aber jetzt im Rückblick hätte ich mir das total, total, total doll gewünscht. Ich speziell, und ich glaube, so ist das auch bei Pablo.

Pablo und ich haben, weil wir uns schon unser Leben lang kennen, im Vergleich zu andern tendenziell viel miteinander über Gefühle gesprochen. Aber niemals so doll, wie wir das heute machen. Für uns war immer ziemlich klar, so klar, dass man gar nicht mehr drüber nachdachte, dass man so Gefühle eigentlich mit sich selber auszumachen hat. Wenn das nicht Gefühle wie Wut oder so sind, irgendwas, das man nicht so nach außen trägt. In sich gekehrte Gefühle, traurig sein, sich unwohl fühlen, sich sehr schwach fühlen, sich uncool fühlen: Diese Gedanken hab' gar nicht so richtig zugelassen. Beziehungsweise: Die waren in mir drin, aber ich hab' gar nicht damit umgehen können. Ich glaube, dass ich das jetzt gerade, auch in der Beziehung mit meiner Freundin, immer mehr lerne und versuche, irgendwie so einen Zugriff zu bekommen, auf meine Emotionen. Einfach mal zu kucken: Was ist überhaupt gerade mit mir los? Wie fühl' ich mich gerade eigentlich? Erstmal diese Emotionen überhaupt zuzulassen.

Das war bei uns früher nicht so. Wir haben viel Sport gemacht, viel trainiert. Pablo war, wie gesagt, lange im Boxverein. Auch wenn wir so auf Partys waren: Das war im Rückblick teilweise so komisch. Mit 15, 16 haben wir uns einfach schon total betrunken und sind hier rumgelaufen, durch die Straßen, haben rumgepöbelt, Leute angemacht, was auch immer. Super-super-destruktiv. Im Rückblick glauben wir, dass wir einfach hammerviel zu verarbeiten hatten und das irgendwie nicht so richtig auf die Ketten bekommen haben. Wenn, dann in unserer Musik. Wenn wir uns die allerersten Songs anhören, die wir damals, so 2016, hochgeladen hatten, wenn ich das heute anhöre: Das klingt so hochgradig depressiv, teilweise, dass ich glaube, dass das schon immer so das Ventil war. Das größte Ventil für meine Emotionen war die Musik.

Ist jetzt neu, dass Musik für Männer ein Ventil sein kann? Vorher war ja eigentlich nur Sport als Ventil akzeptiert. Dort war Gefühle zeigen ja irgendwie immer okay. Wenn ein Mann beim Abstieg seines Fußballvereins weint, war das gesellschaftlich voll akzeptiert.

Ja. (Überlegt) Ich glaube, dass das in unserem Fall was damit zu tun hat, welche Künstler wir uns als Identifikations-Projektion gesucht haben. Es gab schon immer auch so Künstler wie zum Beispiel Casper, die ja sehr, sehr viel über Gefühle sprechen oder auch ganz bewusst 'ne sehr weiche und traurige und zerbrechliche Seite von sich zeigen. Aber solche Vorbilder ... was heißt "Vorbilder"! Solche Musik haben wir einfach gar nicht gehört. Mit 15, 16 dachte ich: Casper, das ist einfach der totale Lappen. Das ist total der Lappen, einfach nur so! Wir haben, auch wenn uns klar war, dass es Entertainment ist, damals viel Farid Bang gehört, Kollegah, ganz, ganz viel maskulinen Straßenrap, und Gangsterrap, sehr, sehr, sehr viel. Um die Frage zu beantworten: Ich glaube, dass sich das geändert hat. Ich glaube, dass das total aufbricht. Ich glaube, dass es für viele jüngere Künstler gerade das Normalste ist, dass man seine Gefühle zeigt. Dass es auch total langweilig geworden ist, der harte Typ zu sein. Es gibt sicherlich viele Leute, die das immer noch abholt, aber ich glaube, dass es immer immer mehr wird, dass klar ist, über seine Schwächen zu sprechen. Auch bei Künstlern, die das gar nicht mehr so übertrieben machen müssten. Ich weiß nicht, ob du zum Beispiel Makko kennst?

Ja, genau. Der macht das auch ganz cool, find' ich. Da gibts immer wieder so Themen wie Verletzt-Sein, Traurig-Sein, was auch immer. Ich glaube, dass sich das geändert hat.

Denkst du, das ist eine Art Gegenbewegung? Das harte Obermackertum hatten wir jetzt lange genug - und das ist jetzt die Reaktion darauf?

Ja. Glaub' ich. Diesen Begriff "Macker" ... ich weiß nicht, ich benutz' den auch nicht so richtig. Aber diese ... ich nenns jetzt mal toxische Über-maskuliner-Rapper-Erfolgsgeschichte, wer ist der Krasseste: Ich glaube, erstmal toucht das einfach viele junge Menschen nicht mehr so, weil dieses Thema Gefühle auch gesellschaftlich immer größer geworden ist. Auch auf allen anderen Ebenen, nicht nur künstlerisch oder musikalisch. Es ist immer weniger ein Tabuthema, zu sagen: 'Ich mach' 'ne Therapie, des- und deswegen.' Oder: 'Ich hab' Depressionen', was auch immer. Und ich glaub' aber auch, dass es künstlerisch einfach nicht mehr interessant ist. Weil es einfach 'ne auserzählte Geschichte ist. Es muss wirklich sehr, sehr, sehr interessante Facetten haben und einmalig sein, damit das noch Leute abholt.

Ich find', wer das zum Beispiel seit Anfang an macht, ist Haftbefehl. Haftbefehl bringt auch diese sehr maskuline Straßen- und Gangsterschiene mit sich, aber nicht auf so einer Ebene, dass er versucht, einen davon zu überzeugen, dass er das ist, so: 'Check mal aus, wie hart ich bin.' Ich hab' eher das Gefühl, bei ihm ist das fast wie so eine verletzte Seite. Das ist meine Wahrnehmung: Es stecken so viel Trauer und Verletztheit in seinen Texten, und trotzdem auch dieses ganze Straßen- und Gangsterding, auch dieses totale Übertreiben, diese sehr frauenfeindlichen und schwulenfeindlichen Texte sind da drin verpackt. Aber wenn man das hört, dann merkt man, dass das so ein bisschen ist wie die Gesellschaft. Dass er das einfach IST und dass er einem einen Einblick gibt, in sein Leben oder auch in das von anderen Menschen, die vielleicht sein Leben teilen. Darum find' ich das zum Beispiel sehr, sehr interessant. Und trotzdem rappt er auch über Depression und all das. Haftbefehl ist einer der Künstler, die ich am interessantesten finde, die mich auch mit am meisten beeinflusst haben. Ich find' sehr interessant, dass immer in seinen Songs diese Maskulinität stattfindet, dieses Der-Krasseste-überhaupt-Sein. Aber nicht so aufdringlich, sondern auch immer mit einhergehenden schlimmen und traurigen Bildern und auch über Depression sprechen und sowas.

Hmm. Wobei ich gerade bei Haftbefehl bisschen schräg finde, dass der jetzt so stark wahrgenommen wird, als wäre er einer, der monsterviel über Depression spricht. Meinem Gefühl nach, hat er das in zwei Parts im Nebensatz erwähnt, und plötzlich ist er derjeige, der in Podcasts über mentale Gesundheit eingeladen wird und als Betroffener über Depression sprechen soll. Ich will ihm die Depression überhaupt nicht absprechen, ich glaube sowieso, dass diese ganzen aufgepumpten, hypermaskulinen, superharten Fassaden ... das ist doch immer nur Panzerung, bei allen, da frage ich mich doch dringend, was die alle zu verstecken haben, dass sie glauben, dafür so eine dicke Rüstung zu brauchen?

Natürlich! Das ist die größte Rüstung überhaupt. Auch für mich selber, in vielen Songs. Pablo und ich ... keine Ahnung, ich bin manchmal erschüttert darüber, wie Leute glauben, dass wir wirklich sind! Wenn eine Person 'ne Stunde oder 45 Minuten lang auf 'nem Album darüber rappt, dass sie selbstbewusst ist, Kraft hat, Hürden im Leben meistert und nach vorne gehen will: Glaubt irgendwer, dass diese Person ein gesundes Selbstbewusstsein hat? Niemand. Nie-mand! Also, ich auf jeden Fall nicht. Sonst würd' ich, glaub' ich, nicht in acht von zehn Texten sagen, was alles krass ist. Das würd' ich nicht machen. Das ist auf jeden Fall so. Aber durchschaut das ein junger Kerl mit 14, 15? Dass das Fassade ist?

Nee, das glaub' ich nicht. Ich hätte es damals, glaub' ich, nicht durchschaut. Aber jetzt würde ich sagen, ich durchschau' es. Und um darauf zurückzukommen: Haftbefehl ist natürlich nicht der größte Mental-Health-Rapper. Null komma null, null null. Er rappt einfach auch total viel Scheiß, natürlich. Aber ich glaube, dass er, in seiner Position, mit den Leuten, die er erreicht, für das, wofür er steht, dass das schon, auf jeden Fall anfangs, ich will nicht sagen, "einmalig", aber das schon 'ne sehr seltene Sache war. Ich glaube schon, dass ihn das am Anfang so interessant gemacht hat, und noch immer macht. Dass er bei den Dingen, die er beschreibt ... kuckma, dass er trotzdem immer diesen Schmerz mit einfließen lässt. Wie schlimm er teilweise diese Welt findet, aus der er kommt. Vielleicht projezier' ich da auch superviel rein, kann natürlich auch sein. Aber ich glaube, dass das viele andere nicht machen. Bei vielen anderen hat man eher das Gefühl, die wollen einem etwas aufzwingen. 'Kuck' mal, wie doll straße ich bin! Kuck' mal, wie hart ich bin!' Das toucht einen ja gar nicht! Aber Haftbefehl toucht mich emotional einfach total. Total! Ich weiß nicht, ob du von Haftbefehl den Song kennst: "Rücken an der Wand", "RADW". Solche Songs ... Ich würde sagen, ich bin jetzt ein junger erwachsener Mensch, ich hab' mich so lange mit verschiedenen Künstlerinnen und Künstlern auseinandergesetzt, dass ich auch einfach die Kunst interessant finden kann. Dass ich, glaub' ich, 'n bisschen gefestigter bin, im Kopf. Dass ich nicht mehr denke: So muss ich auch sein, wie krass! Da find' ich: So ein Song wie "Rücken an der Wand", der holt mich auch ab! Total! Und ich finds auch schön und interessant, einfach dieses Gefühl: Ich liebe es, wenn ein Song es schafft, ein Gefühl rüberzubringen. Wenn ich das Gefühl dann spüre, was der Künstler oder die Künstlerin sagen wollte, dann funktioniert der Song auch für mich. Wenn das Gefühl rüberkommt: Rücken an der Wand, alles oder nichts, man kann nicht mehr nach hinten, es gibt keinen Schritt mehr zurück, es geht nur noch nach vorne. Es kann alles kaputtgehen dabei, aber ich steh' mit dem Rücken an der Wand ... Das ist so eine krasse Aussage! Und wenn dieses Gefühl bei einem rüberkommt: Ich finde, dann hat man es geschafft.

Wenn wir zum Beispiel bei uns auf Spotify kucken, dann können wir ja sehen, wie viele Leute uns hören und woher die kommen. Natürlich weil Mecklenburg-Vorpommern wenig Einwohner hat, tendenziell, aber die allermeisten Leute, die uns hören, kommen aus Berlin, Hamburg, München, Frankfurt am Main. Was ich damit sagen will: Wieso konnte ich denn immer Haftbefehl hören, in seine Welt eintauchen, ohne das erlebt zu haben? Weil er es schafft, das rüberzubringen. Er schafft, dass ich die Musik hören kann, als würde ich einen Film kucken, abschweifen, die Emotionen nachempfinden. Ich kann in seine Welt eintauchen. Darum ist er ein Riesenvorbild für mich, künstlerisch gesehen, weil ich dadurch zum ersten Mal verstanden hab': Wir können das auch andersrum machen. Dass Leute in Pablos und meine Welt und Gefühlswelt eintauchen. Es muss nicht so sein: 'Hinterlandgang, naja, gut, aber wenn euch nur irgendwelche Provinzler hören, was soll da schon großartig bei rumkommen?' So ist es halt einfach nicht! Und immer, wenn ich daran zweifel', dann hör ich mir Haftbefehls "069" an und merke wieder, wie man da reingezogen wird. Und das haben uns zum Beispiel auch mehrere Leute zu dem Song "3. Oktober" geschrieben: Dass, auch wenn Dinge beschrieben werden, eine Welt, mit der sie gar nichts zu tun haben, das Gefühl rüberkommt und man da reingezogen wird. Das ist eins der größten Komplimente für mich. Das ist für mich die Kunst. Wenn ich das geschafft hab', ist es perfekt. Das ist das krasseste überhaupt.

Das ist ja sowieso die Definition von "guter" Musik: dass sie irgendwas mit dir macht. Selbst, wenn irgendwas bockscheiße ist und einen richtig ärgert, beschert einem das wenigstens noch eine Empfindung. Das find' ich dann immer noch besser als so egale Musik, die berühringslos an einem vorbeirauscht.

Ja, das ist das Schlimmste! Ich weiß nicht, ob du das verfolgst, auf Spotify so Playlisten wie "Deutschrap Brandneu" oder so?

Wenn ich da so reinhöre ... das ist genau, was du gerade beschrieben hast: Es ist gar nicht, dass ich sauer bin oder traurig, manchmal sind ja auch ein paar geile Songs dabei. Aber oft hör' ich da einfach Songs und muss da einfach drüber lachen oder schmunzeln, weil ich mir denke: Es ist so langweilig, es ist so uninteressant, so Plastik ... (unterbricht sich) Ich will jetzt auch nicht so wie der Künstler rüberkommen, 'Ohja', und so (lacht) Aber ich kann einfach sagen: Ich find' viele Songs so langweilig, so uninteressant ... und natürlich sind das trotzdem sehr erfolgreiche Musiker. Darum gehts gar nicht. Aber mich persönlich holt das gar nicht ab.

Geht mir auch so, aber trotzdem funktioniert dieser Mechanismus ja offenbar. Da haben, glaube ich, diese ganzen Streaming- und Playlisten-Algorithmen viel verändert. Oh Gott, jetzt kling' ich wie meine eigene Großmutter, aber das war früher wirklich nicht so, dass die Mehrzahl der Songs nach dem komplett gleichen Muster gestrickt war. Dass du an der Konstruktion des Songs schon erkennst: Der ist für einen Playlistenalgorithmus gebaut worden. Hook mit 'nem populären Sample aus 'nem 2000er-Dance-Track am Anfang, für den Wiedererkennungswert, damit man sofort hängenbleibt, dann 'ne egale Strophe, nochmal die Hook, vielleicht noch ein Verse, aber der ist noch egaler als der erste. Wahrscheinlich kommt dann einfach noch dreimal die Hook, fertig. In solchen Playlisten ist fast alles nach diesem Baukastenprinzip gebaut, und trotzdem scheint es ja zu funktionieren. Fuckin' viele Leute hören das ja!

Ja, klar! Wenns nicht funktionieren würde, dann würden die das ja auch nicht machen. Natürlich: Es funktioniert total.

Wie du aber gesagt hast: Ich find' auch am allerwichtigsten, dass ein Gefühl rüberkommt. Das hat für mich bei eurem Album "Maschendraht" wirklich gut funktioniert. Mein absoluter Favorit auf dem Album ist "13 Jahre".

Der Song liefert ein tolles Beispiel dafür, dass die Umstände die Weltsicht machen. Dass es wirklich sehr darauf ankommt, welche Voraussetzungen jemand hat, und dass davon, was jemand mitgegeben bekommen hat, abhängt, wie er einen Sachverhalt wahrnimmt. Fand' ich super. Dann dachte ich mir aber: Okay, die wünschen sich andere als die geschlechtertypischen Rollenvorbilder, bedienen in dem Track aber doch wieder Klischees: Der Junge in der ersten Strophe hat es hart und schwer, will alles niederbrennen, und natürlich weint er auch nicht. In der zweiten Strophe, das Mädchen, dagegen vergießt tausend Tränen für die Welt. Dann hab' ich aber festgestellt: Upps! Da wird in keinem Moment gesagt, dass das ein Mädchen sein soll. Sitzen die Stereotype nur in meinem Kopf?

Den Song hat Pablo komplett geschrieben und ich hab' nicht so tief mit ihm darüber gesprochen. Jetzt mach' ich vielleicht alles kaputt, aber ich glaube tatsächlich, dass er schon ein Mädchen im Kopf hatte. Aber um darauf richtig gut zu antworten, müsste jetzt Pablo hier sitzen. Weil es halt komplett aus seiner Feder kommt. Ich weiß nur, er hat mir 'ne Songskizze geschickt, da saß ich gerade im Zug von Berlin nach Leipzig. Der fährt so 'ne Stunde, glaub' ich, war 'n ICE. Da hat er mir per Whatsapp ne Sprachnachricht geschickt, da hat er den Song eingerappt. Ich hab' mir das angehört, hab' Megagänsehaut bekommen und hab' mir die ganze Zugfahrt, eine Stunde lang, wieder und wieder diesen Song angehört. Weil ich den so krass fand. Mich berührt der Song auf jeden Fall. Ja. (Überlegt) Vielleicht sind da auch Stereotype drin. Das stimmt. Ich glaub' aber nicht, dass Pablo damit sagen will, der harte Junge und die weiche Frau, er hats so schwer und sie hats so leicht. Was ich an dem Song toll finde, warum er mich berührt hat: Dass der gar keine Moralpredigt hält. Der kommt nicht so moralpredigend daher, find' ich. Das mag ich sehr gerne an dem Song. (Überlegt) Ja, ich überleg' gerade! Es wird 'ne Fortsetzung geben. Du bist die erste Person, die das erfährt. "26 Jahre" wird sie heißen. Und Pablo hat 'ne noch weitere Fortsetzung geschrieben, ich glaub', "38 Jahre". Oder so. Das ist auf jeden Fall schön.

Oh, cool, weil: Den mochte ich wirklich total gern.

Das freut mich. Finde total schön, dass du das sagst.

Du sagst, das wichtigste in der Musik sind Gefühle. Vorhin meintest du außerdem, dass ihr euch heute viel mehr Gedanken drüber macht, wie eure Texte bei anderen ankommen könnten. Besteht die Gefahr, dass das viele Nachdenken über mögliche Wirkungen des Gesagten das Gefühl killt?

(Überlegt) Also ... bis jetzt bei dem Album wars immer so: Wir haben ein paar Zeilen geändert. Aus verschiedenen Gründen. Und jedes Mal, wenn wir über die Zeile richtig nachgedacht haben, wenn uns Lars [Lars Lewerenz, Chef von Audiolith, d. Red.] und vor allem Molly [Molly Mönch, Geschäftsführerin von Audiolith, d. Red.] gesagt haben: 'Bei der und der Zeile: Das, was ihr da sagt, ist das wirklich das, was der Song sagen soll?' Da haben wir uns diese Frage zum ersten Mal gestellt: Was wollen wir eigentlich sagen? Bisher war es jedesmal so, dass, nachdem wir eine Zeile geändert haben, viel viel besser rüberkam, was wir eigentlich sagen wollten. Das hat dem Song nur gutgetan. Es ist ja jetzt auch nicht so, dass wir Zeilen ändern wie 'Du Schlampe, du Hure' oder sowas. Es sind ja wirklich sehr kleine Feinheiten gewesen. Jedesmal, wenn wir die geändert haben, wurde der Song interessanter, einfacher auch, irgendwie klarer, was er eigentlich sagen will. Bis jetzt hat mir das nur gutgetan. Ich weiß nicht, ob mich das auch beschränken kann, weil ich an dem Punkt noch nicht war. Bis jetzt war das immer 'ne schöne Sache und hat dem Song aus meiner Sicht nur gutgetan.

Wenn ich anfangs sagte, ich hatte Berührungsängste wegen dieser Heimatverbundenheit und Männerbund-Ästhetik, hätte ich vielleicht dazu sagen sollen, dass mir natürlich klar war: Wenn so ein Album über Audiolith erscheint, dann sind die Künstler von vorneherein des rechten Gedankenguts eher unverdächtig. Man weiß ja, dass sie dort sehr klar positioniert sind und auch genau hinkucken. Aus dem, das du gerade erzählt hast, schließe ich, dass da von Labelseite durchaus ... nennen wir es "Anregungen" kamen? Oder Bedenken?

Rein rechtlich könnten die auch sagen: 'Nö, so bringen wir das nicht raus.' Wir haben ja einen Vertrag, in dem drinsteht, dass auch die entscheiden dürfen, was rauskommt und was nicht. Theoretisch. Aber so war das bei uns nicht. Wir haben einfach die Demos aufgenommen, die haben den Song gehört, und dann haben wir drüber gesprochen. Das kam immer aus der Situation heraus, im Gespräch. Es war auch nicht so, dass die mit 'ner Liste kamen, 'Sooo, jetzt haben wir hier das, das und das ...', sondern es war immer so, dass ... ich kann das jetzt gar nicht richtig beschreiben! Wir saßen zusammen, und dann haben wir einfach ein bisschen darüber geredet. Die haben ihre Perspektive gezeigt, und wir haben dann auch nicht gesagt: 'Okay, wir ändern das sofort.' Sondern wir haben gesagt: 'Okay. Cool, dass ihr das sagt, wir denken darüber mal nach.' Das war immer ein toller Prozess. Aber ich kann mir auch vorstellen, was du gesagt hast: 'Okay, das kommt von Audiolith. Die achten auf alles. Man muss der Sache 'ne Chance geben. Vielleicht ist es auch ganz cool ...' Es kamen einfach immer interessante Ansätze von Audiolith. Wir haben das aufgenommen, und es war jedes Mal so, dass wir das schön fanden, was sie gesagt haben.

Lars kennen wir mittlerweile ja auch schon ein bisschen länger, so seit drei oder vier Jahren ungefähr. Das war immer so ein Prozess. Wir sind auch mal nach Hamburg gefahren, ins Büro, haben einfach ein bisschen gequatscht, gelabert, dann hat er uns das Büro gezeigt ... es waren einfach immer interessante Gespräche, und so ist das passiert. Ich seh' Lars und auch Molly nicht so, 'Okay, das ist unser Chef', sondern wirklich auf Augenhöhe. Wir haben irgendwie zusammengefunden und auch immer mehr ein Gefühl dafür bekommen, wie wir uns eine Zusammenarbeit wünschen. Dass wir gegenseitig auch erkannt haben, wo die andere Partei vielleicht drauf achten muss, in der Kommunikation miteinander. Dabei ist zum Beispiel rausgekommen, dass Pablo und ich ganz schön sensibel sind. Einmal gings um ein Musikvideo, da hatte Lars was gesagt, was er aus seiner Sicht daran nicht so cool fand. Wir haben es im Endeffekt auch geändert. Aber da haben wir gemerkt, dass wir teilweise eine ... bisschen sachte Kommunikation brauchen, vielleicht eine überbehutsame, weil wir uns da so schnell angegriffen und eingeschränkt gefühlt haben. Aber eigentlich wars immer toll. Es war immer schön.

Haha, ja. Lars kann durchaus rumpelig sein.

Das Problem war: Wenn wir telefoniert haben, ging es immer. Aber das war so 'ne Textnachricht: 'Ey, Leute, ja, cool, blabla, aber hier, bei dem Song ...' Er hatte sich das wahrscheinlich nicht richtig überlegt, fuhr gerade irgendwo hin und dachte: 'Ach, ich schreib' das denen noch schnell' - und dann kommt das bei mir ganz anders an. Ich les' das ja auch in einer ganz anderen Stimme, mit meiner Kopf-Stimme, und dann geht das so schnell, dass man da alles mögliche falsch verstehen kann. Aber es war nie irgendwas ernstes, eigentlich wars immer toll.

Geschriebene Kommunikation ist manchmal einfach echt anfällig für Missverständnisse.

Ja, bei uns ja genauso! Wenns einfach nur Orga-Sachen sind, ist es ja total sinnvoll, einfach kurz hin- und herzuschreiben. Aber wir haben uns da einfach festgelegt: Wenn es wirklich um Kritik geht, um solche Sachen, dass er einfach nicht schreibt, sondern gleich anruft, oder dass wir gleich anrufen. Weil das einfach eine ganz andere Basis ist und das Gefühl dann viel, viel besser rüberkommt und man gar keine Zeit hat, sich groß Gedanken zu machen, weil sich die andere Person ja gleich erklärt.

Mal ganz was anderes: Ich hab' dieses Album zugeschickt gekriegt, dachte: Hinterlandgang, hab' ich noch nie gehört, dann wird das wohl das Debüt sein. Ich habe ein bisschen recherchiert: Upps, Nummer fünf inzwischen schon? Im Backspin-Podcast habt ihr das aber selbst auch als euer Debütalbum bezeichnet. Was ist da los?

Das passt so zusammen: Wir hatten das vorher besprochen, mit Lars und auch für uns selber. Für uns fühlt sich das an wie unser Debütalbum. Weil wir ganz viele Sachen, die für uns ein Album ausmachen, da zum ersten Mal gemacht haben. Wir sind zum ersten Mal in ein professionelles Studio gefahren, haben zum ersten Mal überhaupt unsere Songs mastern lassen. Bei den ganz grundlegendsten Sachen schon. Wir haben zum ersten Mal überhaupt 'ne Platte rausgebracht, was wir vorher nie gemacht haben. Alles, was dazugehört, haben wir zum ersten Mal gemacht. Davor ... auf Spotify müssen wir es halt "Album" nennen. Einen Begriff wie "Mixtape" oder so gibts da ja nicht, nur "Single" oder "Album". Aber im Endeffekt würde man rückblickend das alles als "Mixtape" bezeichnen. Wir haben schon immer Songs gemacht und haben das damals für uns selbst schon immer als Alben gedacht. Ich will auch gar nicht dieses 'Das sind keine Alben und DAS sind Alben' denken, aber das ist eher wie so ein Weg, wie eine Geschichte da hin, wo wir jetzt wirklich ein richtiges Album machen. Ein wirkliches Album, das auch über ein Label rauskommt und auch richtig geil ist. Bei dem auch dieser Prozess viel länger gedauert hat.

Kuck' mal, wir haben vorher nie ... wir haben einfach Beats aus dem Internet gezogen, bei den alten Songs haben wir da teilweise noch nicht mal die Rechte daran, und haben halt drauf gerappt. Wir haben auch die Beatstruktur nicht verändern können, weil wir gar nicht so richtig wussten, wie das geht. Wir konnten mal 'ne Kleinigkeit rumschieben, aber nicht im Beat selber. Und jetzt waren wir im Studio, bei Chaos Compressor Club in Hamburg, da sind wir zum ersten Mal wirklich in die Beats reingegangen, haben gekuckt, so Kleinigkeiten: Hier diese Bassdrum, ist das geil? Ist DAS geil? Können wir das umändern? Im Beat - was wir vorher noch nie gemacht haben? Mit diesem allen ringsherum ist es für uns trotzdem, würd' ich sagen, wenn man diesen Begriff "Album" nimmt, unser Debütalbum. So fühlt es sich für uns auf jeden Fall an.

Wir bewegen uns da immer noch im Nischenbereich, aber ich finde schon, dass ihr relativ viel Aufmerksamkeit dafür bekommen habt. Glaubst du, das liegt an den professionalisierten Strukturen?

Hmmm ... ja. Auf jeden Fall. Allein weil die Musik viel besser geworden ist, dadurch. Inhaltlich, aber auch rein musikalisch. Das Handwerk ist besser geworden. Ich glaub' aber, dass auch viele Künstler, die uns hier und da mal 'n bisschen gepusht haben, oder uns mal auf 'ne Tour mitgenommen haben, dass die uns auch schon vorher auf dem Schirm hatten, und dass jetzt so der Moment ist, das auch auf Instagram oder so mal zu pushen. So Leute wie Zugezogen Maskulin oder Feine Sahne Fischfilet, was auch Bands waren, die uns sehr, sehr geprägt haben, in unserer Jugend, zu denen haben wir jetzt einfach Kontakt. Die haben das schon bisschen länger auf dem Schirm und feiern das auch, was wir machen, und jetzt war so der Punkt. Ich glaube, dass von bestimmten Leuten die Aufmerksamkeit auch schon vorher da war, aber die das jetzt einfach mehr pushen. Weil sie mitkriegen: Okay, jetzt kann wirklich was passieren, da geht jetzt richtig was nach vorne.

Wenn wir uns nur mit uns selber vergleichen, haben wir jetzt wesentlich mehr Aufmerksamkeit. Was total schön ist, was uns total freut. Wenn wir uns natürlich mit irgendwelchen Mega-Acts vergleichen ... Klar, man kann sich immer nach unten oder oben orientieren. Ich glaub', das sinnvollste für uns ist, dass wir uns einfach mit uns selber vergleichen, vor zwei Jahren zum Beispiel oder vor einem Jahr. Und damit meine ich nicht nur die Hörerschaft. Wie wir uns mit unserer Musik auseinandersetzen, wie wir auch live sind. Da ist einfach viel passiert, es macht superviel Spaß, und wir freuen uns total darüber, wenn Leute das irgendwie pushen und mehr Aufmerksamkeit da ist.

Spielt da auch eine Art Zeitgeist eine Rolle? Feine Sahne, Zugezogen Maskulin, auch Waving The Guns oder Pöbel MC, für die ihr schon Support gemacht habt: Könnte ja sein, dass die schon eine Schneise geschlagen haben, für Musik aus dem Osten.

Auf jeden Fall, und auch für Musik aus der Provinz. Ich glaube, dass das Thema auch einfach interessant ist. Weil es eine neue Welt zeigt. Viele verschiedene Künstler und Künstlerinnen zeigen in ihrer Musik ihre Welt, und ich glaube, dass diese Welt aus dem Osten, für die auch Kummer extrem eine Riesenschneise geschlagen hat, aber dann auch noch aus der Provinz, mit den Themen ... ich glaube, dass da auch Journalisten, aber auch Hörer*innen stärker interessiert sind, das richtig wahrnehmen und da auch bisschen hungrig drauf sind. Und ich glaub' auch, dass Pablo und ich da noch viel, viel krasser in irgendwelche Kerben schlagen konnten, noch viel mehr Storys erzählen, noch plakativer Dinge angehen konnten. Ich könnte mir vorstellen, dass wir, mit 'nem Skandal vielleicht sogar viel schneller irgendwelche Leute erreichen könnten. Aber das ist nicht so, wie wir es machen wollen. Weißt du, auch wenn wir Hinterlandgang heißen, wollen wir dieses Ost-Klischee und dieses Provinz-Klischee eigentlich gar nicht so superdoll raushängen lassen. Auch wenn gut sein kann, dass du das hörst und sagst: Naja, macht ihr aber ganz schön doll. Aber es ist eher so, dass wir uns eigentlich sehr zurückhalten.

Auf diese Themenkomplexe wird man aber wahrscheinlich zwangsläufig angesprochen, wenn man Hinterlandgang heißt.

Total! Ich find' das auch gut. Ich find' interessant, darüber zu reden. Weil weißt du, was das Coole ist? Wir sind Hinterlandgang aus Vorpommern, dem nord-östlichsten Teil Deutschlands. Jeder weiß, das ist eine abgehängte Region. Jeder weiß, die zweitstärkste Partei ist die AfD. Jeder weiß, wenn wir irgendwas darüber sagen, wie das hier ist, dass da eh keiner mitsprechen kann, außer vielleicht noch einer Handvoll anderer Künstler. Wir haben also die Freiheit, über unsere Themen zu sprechen, wie wir wollen. Und das find' ich total interessant, dass wir da was mitformen können. Was ich meine, wenn es, wie in Berlin vielleicht, eine Million Künstler und Künstlerinnen geben würde, da würde ja keiner fragen: 'Und? Wie ist es, in Berlin aufzuwachsen?' Hä? Wie soll das schon sein, was soll ich da jetzt dazu sagen? Aber wir können das machen. Wir können über alles sprechen, was wir wollen, und es ist noch ein neues Thema. Für Leute, die das hören wollen, sind es neue Themen. Weil keiner darüber Bescheid weiß.

... und es bietet ja doch Anknüpfungspunkte auch für Leute, die nicht aus dieser Region sind. Dieses Einöde-Dorf-Motiv fühl' ich zum Beispiel total, auch wenn das Kaff, aus dem ich komme, nicht im Osten liegt. Ein ähnliches Gefühl von Abgeholt-Werden hatte ich bei dem Thema zuletzt bei der "Grim104"-EP.

Ja, das war auch ein sehr prägendes Album für mich. "Crystal Meth in Brandenburg" - das ist einfach ein sehr guter Song, mit dem Grim sehr hart in eine Klischee-belastete Kerbe schlägt. Brandenburg. Leere. Niemand weiß, was da los ist. Hütten, "in den Hütten brennt Licht". Es sind keine Häuser, es sind Hütten. Crystal Meth. Überall wird Crystal Meth gebraut. Weißt du? Der Song ist von der EP wahrscheinlich einer der bekanntesten. Ich glaube, der hat diese EP überhaupt erst bekannter gemacht. Und das war grade das, was ich meine: dass wir nicht zu sehr in 'ne Klischee-Kerbe hauen wollen. Auch wenn das Themen sind: Gewalt, Drogen, verlorene Menschen um uns rum, auch in der Familie, Alkoholiker ... das sind alles Themen, die wir noch viel döller behandeln könnten und die vielleicht Leute noch viel einfacher greifen könnten. Aber da ist wieder das Thema: Was wollen wir eigentlich sagen? Wie wollen wir uns nach außen präsentieren? Es hat keine wirkliche Antwort, ich wollte es nur kurz aufgreifen. Künstlerisch kann man hier so viel machen. Wenn man es will. Mir ist einfach wichtig, dass die Musik von Hinterlandgang auch ernstzunehmen ist. Auch wenn wir mal lustige Songs machen, dass man das trotzdem ernst nehmen kann. Weil man weiß, dass diese Leute, Albert und Pablo, den Hörer*innen da ein Stück aus ihrer Welt zeigen. Dass man nicht sagt: Das ist total übertrieben, das ist Quatsch, das ist unrealistisch. Ich möchte, dass die Leute wirklich wissen, egal, was wir da für ein Gefühl transportieren: Das ist ein Einblick in diese Welt von denen. Deshalb haben wir auch keine Künstlernamen. Wir heißen ja wirklich Pablo und Albert.

Wobei 'Pablo' auch ein guter Künstlername wäre, für einen Rapper.

Pablo hat den coolsten Künstlernamen auf der ganzen Welt! Welcher Rapper würde sich trauen, sich Pablo zu nennen? Pablo heißt aber Pablo. Deswegen ist das okay. Was ich aber eigentlich erzählen wollte: Als wir sie zum ersten Mal getroffen haben, bevor wir dieses Album "Maschendraht" aufgenommen haben, hat Molly gesagt: 'Ach, krass. Ihr sprecht ja gar nicht so, wie ihr rappt!' Und wir so: Hä, wie? Wir sprechen nicht so, wie wir rappen? 'Ja, wenn ihr rappt, dann sagt ihr viel öfter statt 'ch' 'sch', so Kleinigkeiten.' Dann haben wir unsere alten Songs mal angehört, und da ist uns aufgefallen: Ja, stimmt. Unterbewusst haben wir uns als Jugendliche einfach viel mit Straßen- und Gangsterrap auseinandergesetzt, zum Beispiel Farid Bang, viele Leute, die aus dem Pott kommen, auch Berliner, Bushido oder so, die einfach statt 'ch' 'sch' sagen. Und ohne, dass wir da aktiv drüber nachgedacht haben, so 'Ja, so wollen wir auch klingen', haben wir das auch gemacht. Auf "Maschendraht" machen wir das jetzt nicht mehr.

Das hört sich jetzt nach einer totalen Kleinigkeit an, aber ich finde, dass unsere Charaktere, so, wie wir sind, auf dem Album so direkt und so gut rüberkommen wie noch nie zuvor. So unverblümt. Dass wir auch mehr unsere Klarnamen benutzen, in Songs. Dass ich oft mit 'ner kraftvolleren, lauteren Stimme rappe, teilweise schon fast schreie, und Pablo eher melodisch ist, das war schon immer so. Aber das haben wir noch ein bisschen mehr hervorgehoben, unsere verschiedenen Charaktere. Und das möchte ich gern, dass die Leute verstehen: Das ist natürlich Hinterlandgang, aber da sind auch einfach zwei Menschen mit ihren persönlichen Geschichten, die sie auch in diesen Songs verarbeiten. Wir sind keine Reporter aus dem Hinterland. Bei Interviews hab' ich manchmal das Gefühl, die wollen, dass wir ihnen wie so eine Reportage geben, aus dem Hinterland. 'Erzählt doch mal: Wie schlimm ist das? Und mit Nazis, wie war das?' Da denk' ich mir so: Ich will nicht nur als diese Ost-Band wahrgenommen werden, die über irgendwelche Ost-Probleme redet, sondern das ist einfach ein Konstrukt, das zusammengehört. Hinterlandgang. Pablo und Albert. Persönliche Sachen, ihre Umgebung ... ich glaub', ich hab' schon viel zu viel geredet.

Wir sprechen einfach wirklich von einer abgehängten Region. Die AfD ist teilweise die stärkste Partei geworden, und auf einmal alle so mega ... 'Hä, Aufschrei! Was ist denn hier wieder los?' Ich glaube, dass von daher auch das Interesse kommt, sich mit der Provinz, vielleicht speziell im Osten, aber allgemein mit der Provinz, zu beschäftigen. Warum ist das so? Warum hat die Linke zum Beispiel bei der letzten Bundestagswahl in ... drei Wahlkreisen, glaub' ich, zweimal in Leipzig, einmal in Berlin, überhaupt noch Direktmandate bekommen? Was ist da eigentlich los? Was passiert da gerade, in der Provinz? Dann machen wir so Songs wie "3. Oktober", da kommt auch wieder eine Zeile rein wie 'Wir werden links oder rechts', da wollen wir einfach diesen Einblick geben, in diese Welt. Auf eine künstlerische Art und Weise, natürlich. Nicht als Reportage. Und ich glaub' eher, dass die Leute sich das in Zukunft noch mehr fragen werden. Ich glaube, dass es eher noch döller wird. Die Leute werden sich immer mehr fragen: Was ist da los? Und ich frag' mich selber auch: Was ist hier los? Was ist los??!

Die Frage wird ja auch immer dringender. Wenn man sieht, was Parteien wie die AfD für einen Zulauf haben, gerade im Osten, da muss man sich ja fragen, was die Leute reitet, dass sie glauben, dass die AfD ihnen irgendwas anzubieten hätte.

Was ich mitbekomme, ist, dass die Leute eigentlich gar nichts glauben. Niemand glaubt (unterbricht sich) 'Niemand' total übertrieben, es gibt sicherlich auch sehr viele, die glauben, die AfD ist toll, keine Ahnung. Aber ich glaube, ganz viele wollen einfach nur zeigen: Kuckmal, und JETZT kuckt ihr auf uns. JETZT sind wir auf einmal interessant. Die ganze Zeit war der Osten scheißegal. Jetzt ist er auf einmal interessant. Jetzt, wo die AfD so stark wird, jetzt kucken die Leute nach Sachsen, in irgendwelche Regionen, wo gar nichts geht. Wo irgendwelche megagroßen Häuser auf dem Dorf immer noch für 20.000 Euro verkauft werden, was ja lächerlich ist, bei den derzeitigen Immobilienpreisen. Wieso fragen sich die Leute erst jetzt, was da eigentlich los ist? Ich glaube das wirklich: Man will, dass die Leute auf einen kucken. Und man will auch, glaub' ich, einfach abfucken. Da herrscht teilweise so eine Wut, so ein Hass auf das System, den man auch gar nicht mehr geraderücken kann. Das hat ganz, ganz viele Gründe. Testo hat das mal irgendwo gesagt, dass in der DDR Faschismus auch verboten war. Weil er verboten war, wurde nicht drüber gesprochen, in der Öffentlichkeit. Und weil nicht darüber gesprochen wurde, sind so faschistische Strukturen wieder hochgekommen. Diese Strukturen sind, meint er, familiär auch immer weitergegeben worden.

Ich glaube, was viele ostdeutsche Menschen haben, in einem bestimmten Alter, so Ende 40, Mitte 50, ist das Gefühl: Wir sind Verlierer. 'Wiedervereinigung' klingt ja eher positiv, aber ich bekomme von meiner Mutter und so mit, dass viele die Wiedervereinigung als Niederlage wahrnehmen. Wir waren die Verlierer in diesem Machtkampf. Es wurde ja auch nicht gefragt. Wiedervereinigung würde ja vielleicht auch bedeuten, man kuckt ein bisschen: Was ist hier interessant? Was ist da interessant? Wie können wir uns zusammentun? Das ist ja nicht passiert, sondern es war ja eher so: Okay, die DDR ist weg. Scheiß mal drauf, was es in der DDR so gab, was es vielleicht auch für Gesetze und Ideen gab, die aus heutiger Sicht sehr progressiv waren, oder sehr gut. Das wurde einfach weggecancelt. Ich glaube, dass das ganz, ganz viel auch mit Emotionen zu tun hat.

Glaub' ich auch, wobei es alleine daran auch nicht liegen kann. Man sieht ja ähnliche Entwicklungen überall in Europa, oder wenn man in die USA schaut - was für ein tief gespaltenes Land. Ich glaub' auch, dass solche Fragen noch drängender werden. Die Probleme werden offensichtlich ja nicht von alleine kleiner.

Nee. Ich denke aber nicht, dass es so ist: 'Ach, ja, weil es jemandem wirtschaftlich schlecht geht ...' Schlecht gehts einem ja gar nicht. Ich muss es anders sagen. Zum Beispiel in Sachsen, ich hab' da ein Jahr lang auf dem Dorf gewohnt, weil ich da meinen Meister gemacht hab': Ich glaube, dass es vielen Menschen da gar nicht darum geht, ob es ihnen gerade wirtschaftlich gut geht oder schlecht. Auch den Menschen auf dem Dorf gehts ja jetzt nicht schlecht. Es ist ja jetzt nicht so, dass wir irgendwie leiden, nichts haben. Teilweise ja eher im Gegenteil. Ich glaube, es ist ganz, ganz viel kaputter Stolz und Gekränkt-Sein. Ich glaube, dass es auf jeden Fall viel mit Emotionen zu tun hat.

Ohne Frage. Zum Schluss will ich noch sagen, das mit dem Einblick-Geben hat bei mir bestens funktioniert: Ich hatte vorher weder gewusst, dass die Stadt Demmin überhaupt existiert, und von ihrer krassen Geschichte wusste ich natürlich erst recht nichts. Danke euch für den Erkenntnisgewinn.

Danke an dich! Es hat sehr, sehr viel Spaß gemacht.

Falls sich jemand fragt, wo genau das Hinterland liegt, das Pate für diese Gang hier steht: Albert Münzberg und Pablo Himmelspach halten damit nicht …