Expedition in Brandenburgs versteckten Untergrund

2022-12-02 18:56:27 By : Mr. Andy Cao

Auf dem Gebiet der DDR gab und gibt es Hunderte Bunker. Vor allem rings um Berlin konzentrieren sich viele dieser meist unterirdischen, bis heute gut getarnten Anlagen.

Kurz hinterm Stadtrand von Berlin, in der Nähe vom Schmöckwitz. Mitten in einem Kiefernwald tauchen sie vor uns auf. Zwei dicht bewaldete, nebeneinanderliegende Hügel, eine bröckelnde Treppe führt hinauf. Zu einer Metallkonstruktion, die an Aufbauten von U-Booten erinnert. In der Mitte eine kreisrunde Luke, kein Meter im Durchmesser, die rostige Abdeckung aufgeschoben. Das Licht der Taschenlampe beleuchtet im Inneren eine stählerne Leiter, mit dem Rand der Luke verschweißt. Doch die Finsternis saugt das Licht auf und lässt nur unsere Fragen aufblitzen: Wie tief geht es hinab? Und: Hält die alte Leiter uns aus?

Von Kiefern überwucherte Riesentanks, geheimnisumwitterte Atomwaffenbunker, dunkle Keller, die Zugänge zu einem Tunnelsystem sind: In den Brandenburger Wäldern stößt man vielerorts auf Spuren der Vergangenheit. Von deutscher Wehrmacht, Roter Armee, von NVA, Stasi und DDR-Regierung. Sogenannte Lost Places, vergessene Orte, die oft gar nicht mehr so lost sind.

Gerade in Corona-Zeiten ist das Spazierengehen an den abgelegenen Orten zu einer Art Volkssport geworden. Wer in der letzten Zeit einmal am Wochenende in der „Stadt im Wald“, den sowjetischen Kasernen von Vogelsang, mitten in der Schorfheide, unterwegs war, hatte fast das Gefühl, in einen Wandertag geraten zu sein. Selbst Familien mit Kleinkindern streifen durch die verlassene Anlage.

Aber es gibt einen Teil dieser verlassenen Plätze, der Spaziergängern meist verborgen bleibt – auch in Vogelsang. Das, was sich unter der Erde verbirgt. Manchmal hat man das Gefühl, halb Brandenburg ist unterbunkert. Kaum eine Kaserne ohne mehrere solcher Schutzbauwerke. Allein Hunderte auf dem Gebiet der ehemaligen DDR listet die Internetseite sperrgebiet.eu auf – ohne exakte Adressen zu nennen, um Objekte, die von „fortschreitendem Verfall gezeichnet und von Zerstörung bedroht“ sind, zu schützen.

Rings um Berlin konzentrieren sich viele dieser meist unterirdischen, auch heute noch gut getarnten Anlagen. Nordöstlich und östlich von Berlin, zwischen Wandlitz und Strausberg, buddelten vor allem die DDR-Staatsorgane (Stasi, NVA, Regierung) in die Tiefe, rings um das ehemalige West-Berlin hatten sich die Sowjets eingegraben.

Bunker, die so geheim waren, dass oftmals nicht mal die Wachposten davor wussten, was sie da schützten. „In dieser sogenannten Wartungseinheit WE 32 habe ich Dienst geschoben von November ’83 bis April ’85“, erzählt Thomas, der vor dem NVA-Bunker in Heinnickendorf (Führungsstelle des Ministers für nationale Verteidigung) Wache stand, auf einer Bunker-Fanseite im Internet. „Dort habe ich ca. 150 Wachdienste je 24 Stunden geschoben, unter anderem auch vor dieser Anlage, von deren Existenz man nichts wusste. Man stand dort in einem kleinen Wachhäuschen davor und wunderte sich, welche Lamettafritzen dort ein und aus gingen oder für viele Stunden einfach verschwanden.“

Ein paar dieser Bauwerke kann man heute ganz offiziell besichtigen (etwa den NVA-Bunker Garzau bei Bernau oder die Bunkerstadt Wünsdorf), andere wurden nach der Wende verschlossen und zugeschüttet. Doch viele scheinen vergessen zu sein, mitten im Wald führen auf einmal Treppen in die Tiefe. In andere kommt man nur auf abenteuerlichem Weg, etwa durch offene Lüftungsrohre, hinein.

Und die Urbexer (steht für Urban Exploring), die drinnen waren, posten dann die Bilder im Internet. Foto-Spuren, denen andere folgen – die dann die Brandenburger Wälder in der Satelliten-Ansicht von Google Maps nach Unregelmäßigkeiten durchforsten, Zentimeter für Zentimeter. Nach Bauwerken und dunklen Schatten, die eigentlich nicht in einen Wald gehören …

Bis man dann zum Beispiel die beiden Hügel in einem verlassenen, inzwischen bewaldeten Tagebau findet. Angelockt von Bildern, die das spektakuläre Innere der Hügel zeigen. Wir klettern die Leiter hinab, 36 Trittsprossen, elf Meter tief – und stehen auf einmal in einer Kulisse, die aus einem Science-Fiction-Film stammen könnte. Ein kreisrunder Kuppeldom, über 30 Meter im Durchmesser, von einem massiven Betonbunker umhüllt.

Ein Lichtstrahl durchschneidet von oben die Finsternis, lässt die Leiter wie einen Zugang zu einem Ufo aufleuchten. Worte werden vom Hall zerhackt, der Stahlblechboden schwingt bei jedem Schritt mit. Und über allem liegt ein leichter Duft von Kerosin. Kein Wunder. Stehen wir doch mitten in einem Riesentank des ehemaligen Treib- und Schmierstofflagers 44 der NVA. Ursprünglich Teil eines Nazi-Rüstungsbetriebes, wurde hier der Jet-Treibstoff TS-1 für die Lufttruppen der NVA gelagert. In jeden der beiden Tanks passten knapp fünf Millionen Liter. Von der Bundeswehr aufgegeben, verfällt das Gelände immer mehr, dazugehörige Gebäude sind nur noch ausgeschlachtete Ruinen.

Genauso abgerockt sieht es 50 Kilometer weiter im Norden aus. Wir sind nahe Werneuchen. Von einer Landstraße aus führt ein befestigter Weg, inzwischen mürbe und zersprungen, in den Wald hinein. Nach 400 Metern macht der Weg einen Knick nach rechts – plötzlich schimmern Graffiti durch die Bäume, tauchen Häuser auf. Oder das, was noch davon übrig ist. Das, was heute wie eine illegale Mülldeponie aussieht, war einst Trainingsobjekt und Ferienanlage für den SV Dynamo. Jedenfalls offiziell. Denn der Sportplatz mit Bungalows war nur Tarnung – für das Ministerium für Staatssicherheit.

Im Krisenfall wären hier 135 Mitarbeiter der „Ausweichführungsstelle der Bezirksverwaltung Berlin“ in den Untergrund gegangen. Mehrere Eingänge führen in das Tunnel- und Bunker-Labyrinth, vom Kommandantenhaus aus steigt man eine Treppe hinunter – in einen fast 100 Meter langen Tunnel, der das Haus mit dem eigentlichen Bunker (1971 bis 1973 gebaut) verbindet. Mit schweren Luftschleusen aus Stahl gesichert, 880 Quadratmeter groß, eingeteilt in schlauchartige Räume. Autonom hätten hier Berlins Stasi-Spitzen eine Woche unter der Erde überlebt.

Was hier auffällt: Auch unterirdisch hatte die DDR ein Faible für Plattenbau, Fertig-Stahlbetonteile in Grau. Kennt man einen Stasi-Bunker, kennt man alle. Der Bauplan war anscheinend fast überall dort, wo die Stasi baute, der gleiche.

In der Nähe der Waldsiedlung Wandlitz, in der die SED-Führung wohnte, gibt es zwei fast identische Stasi-Bunker, die Objekte OGK (Stabsbunker, einst als Obst- und Gemüsekeller getarnt, 750 Quadratmeter groß, 1968 bis 1970 gebaut) und SKP (Familienbunker, als Sieb-Kellerpumpwerk getarnt, 880 Quadratmeter, 1971 bis 1973).

Letzterer Bunker hatte 20 schmale Kammern – Küche, Speisezimmer, Konferenzraum, Funk- und Nachrichtenzentrale und sechs Gästezimmer, in einem davon steht bis heute ein Triplestockbett.

Aber nicht immer wurde in die Tiefe gebuddelt. Deutsche Wehrmacht und Marine ließen rings um Berlin auch mehrere Hochbunker errichten. Wie der von den Sowjets Ende der 1940er-Jahre gesprengte Bunker vom Typ T 750 im Lager Koralle bei Lobetal, einst zentrale Funkleitstelle der deutschen Kriegsmarine. Von hier aus wurden im Zweiten Weltkrieg unter dem Kommando von Großadmiral Karl Dönitz die U-Boote geführt.

Schriftsteller Lothar-Günther Buchheim („Das Boot“) schrieb in seinem Roman „Die Festung“: „Schwer vorstellbar, dass der U-Bootkrieg in allen sieben Meeren von diesem märkischen Kiefernwäldchen aus geführt wird. Koralle – wer nur auf diesen Namen gekommen sein mag. Für ein Stabsquartier unter Kiefern ausgerechnet Koralle!“ Die DDR-Bereitschaftspolizei nutzte die meterdicken Trümmer, mit neu gemauerten Treppen versehen, später zum Häuserkampf-Training.

Vom Inventar ist in den Bunkern meist nur noch wenig zu sehen. Schrottdiebe haben fast alles geklaut, was nicht niet- und nagelfest war, selbst das Metall aus den Kabeln gerissen. Nur ein paar Bauwerke, besonders versteckt und weitab vom Schuss gelegen, wurden nicht vollständig geplündert.

Eines der spannendsten finden wir im Bunker-Gürtel rings um den ehemaligen Truppenübungsplatz Heidehof-Golmberg. Ein geheimer Bunkerkomplex der Roten Armee, ab Mitte der 1970er-Jahre eine Kommandozentrale des Oberkommandos der sowjetischen Truppen in der DDR. Eine schroffe Hügellandschaft, die wie künstlich modelliert aussieht, durchbohrt von Panzerstellungen und von kleineren Bunkern, die den großen in der Mitte schützend umringen. Mit einem Geheimzugang unter einem Holzboden im Kommandantenhaus und einem bequemen Treppenzugang für die Stabsoffiziere. Den nehmen auch wir bei unserer Stippvisite.

Der Hauptbunker für den Oberkommandieren besteht aus Dutzenden Räumen, die über zwei parallel laufende Gänge verbunden sind. Und hier finden wir noch Räume mit Betriebstechnik, die der Zeit trotzen – riesige Lüftungsanlagen, die Wasseraufbereitung, die Strom-Generatoren, leuchtend gelb, rot, blau und grün gestrichen – die klassischen Farben in den sowjetischen Bunkern.

Der vordere große Raum, gleich beim Zugang für den Stab, scheint der Lagerraum gewesen zu sein, gleich daneben die Nachrichtenzentrale. Der größte Feind der Anlage ist heute die Feuchtigkeit. Ein Teil steht unter Wasser.

Als wir den Bunker wieder verlassen, holen wir uns nasse Füße – und kommen mitten im Wald wieder heraus, an einem weiteren Zugang, den wir vorher im dichten Grün übersehen hatten.